Ist Wählen alternativlos?
Wer so fragt, besonders zu Beginn des Landtagswahlkampfs, hat ernste Zweifel, ob die Mechanismen des Wählens und der dann folgenden „Gestaltung“ der Politik im besten Sinne des Wortes demokratisch genannt werden können.
Bei der Veranstaltung von InitiatorInnen des Vaihinger Manifests am 18.1.2016 im Forum 3 in Stuttgart war die Verelendung zur Simulationsdemokratie und die Notwendigkeit der Demokratisierung der Demokratie bereits Konsens, über den nicht mehr diskutiert werden musste.
Es ging vielmehr darum, sich etwas Anderes als den herrschenden Politikbetrieb vorzustellen, um Möglichkeiten und Methoden, die skeptische bis ablehnende Haltung zu dieser real existierenden Demokratie (was Umfragen und Zahlen zu Wahlbeteiligung belegen) zum Ausdruck zu bringen und ihr zu politischer Wirksamkeit zu verhelfen.
Das Wählen des Kleineren Übels ändert wenig an der realen Politik und stützt doch, eben durch die Teilnahme an diesem Verfahren, die Strukturen, die dafür sorgen, dass die tatsächliche Politik keineswegs unbedingt und in Streitfällen (wie in Griechenland) überhaupt nicht den Willen der Wählerschaft umsetzt.
Die Diskussionsrunde beteiligte in der Form der fish-bowl immerhin etwa ein Fünftel der Anwesenden – ein Beginn, schon die Diskussion über Demokratie zu demokratisieren.
Ziel des Vaihinger Manifests (im Kapitel Repräsentation von Nichtwählern und Ungültig-Wählerinnen) ist es, eine Basis zu schaffen für die Bündelung der verschiedenen Formen der grundsätzlichen Nein-Stimmen. Die Partei Nein!-Idee stellt Kandidaten auf, die – wenn sie gewählt werden – kein Exekutivamt annehmen, sonst bei allem mit Nein stimmen, was nicht direkt an die Bürger zur Entscheidung abgegeben wird. Die Partei der Nichtwähler will letztlich Nichtwähler wieder ins politische System zurückholen, dazu bedarf es aber „systemischer Veränderungen“ (Repräsentation der Nichtwähler in Parlamenten, Abschaffung des Fraktionszwangs u.a.). Sie versteht sich auch als Sprachrohr für politische Reformbewegungen.
Grundproblem der Demokratie, wie wir sie haben, ist die fehlende Bindung der Politik, der Politiker an Bedürfnisse und Wünsche der Bewohner des Landes. Es wurden v.a. drei Problemkerne benannt.
Einer ist die oft kritisierte fehlende Verantwortlichkeit von Politikern für ihr Tun. Selbst wenn sie sagen „ich übernehme die Verantwortung“ bleibt das für sie selbst in der Regel folgenlos. Es bedarf eines Verfahrens der Abwahl (durch die Wähler oder der Parteibasis) und der persönlichen Haftung (z.B. bei Schäden durch Korruption).
Ein zweiter ist die Mandatsdauer von Abgeordneten. Lebenslanges Berufspolitikertum in einer lobby-unterwanderten Parallelgesellschaft soll unmöglich sein.
Ein dritter ist die Repräsentation der Nichtwähler in einer Form, die der Kaste der Berufspolitiker weh tut. Z.B.: Wer nicht wählt, will nicht repräsentiert werden; also muss auch ein entspr. Teil der Sitze unbesetzt bleiben.
Das lässt sich weiter denken: Ausgeloste Abgeordnete würden die Plätze einnehmen, die dem Anteil der Nichtwähler entsprechen. Es wurde von positiven Erfahrungen (Island, Kanada) über Losverfahren berichtet. Die Ausgelosten erwiesen sich durchaus als fähig, das Ganze zu im Blick zu behalten.
Soll so die Politik wieder dem Gemeinwohl verpflichtet werden, stellt sich die berechtigte Frage, was das ist und wer die Definitionsmacht besitzt.
Der Ansatz der Kritik war radikal, die Verbesserungsvorschläge scheinen vergleichsweise einfach, bei gutem demokratischen Willen machbar, ohne den Charme des Utopischen. Wären sie, gebündelt, Mittel zur Demokratisierung der Demokratie?
Es gab keine vorbereitete Abschlusserklärung, keine per Akklamation beschlossene, aber schon vorher geplante Kampagne – nur einen klitzekleinen konkreten Vorschlag einer Teilnehmerin, wie die Diskussion in die Breite getragen werden könnte: Das Manifest an Schulen verschicken, damit es dort diskutiert wird.
Konrad Nestle
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